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Buchseiten bilden ein Herz
Gedanken zum Evangelium - Kreuzerhöhung

Ein kleiner Same wird gelegt

Am Fest Kreuzerhöhung wird ein Abschnitt aus dem nächtlichen Gespräch zwischen Jesus und Nikodemus gelesen. Nur der Evangelist Johannes kennt diesen Mann. Wofür steht er? Und was hat er uns heute zu sagen?

Evangelium

In jener Zeit sprach Jesus zu Nikodemus: Niemand ist in den Himmel hinaufgestiegen außer dem, der vom Himmel herabgestiegen ist: der Menschensohn. Und wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der glaubt, in ihm ewiges Leben hat.

Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat. Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird.

Johannesevangelium 3,13–17

Das Johannesevangelium ist in vielen Punkten sehr besonders. Zum Beispiel passieren dort wichtige Dinge viel früher im Leben Jesu. Etwa die sogenannte Tempelreinigung. Für die anderen Evangelisten ist sie so etwas wie der Auftakt zur Passion Jesu; bei Johannes steht sie gleich zu Anfang in Kapitel 2: Erst wirkt Jesus sein allererstes Zeichen auf der Hochzeit zu Kana, gleich danach reist er zum Pascha-Fest nach Jerusalem und löst einen Eklat aus, indem er Händler und Geldwechsler aus dem Tempel prügelt.

Der Evangelist Johannes geht also gleich mitten hinein ins öffentliche Wirken Jesu, für ihn ist Jesus schon ganz am Anfang ein bekannter Mann. Anders ist es nicht zu erklären, dass noch am selben Abend der Pharisäer Nikodemus zu ihm kommt. Und das nicht, um ihn zur Rede zu stellen, sondern um ein Expertengespräch auf hohem theologischen Niveau zu führen. „Rabbi, wir wissen, du bist ein Lehrer, von Gott gekommen“, sagt er zu Jesus. Und auch Jesus respektiert sein Gegenüber vorbehaltlos. „Du bist der Lehrer Israels“, sagt er zu Nikodemus, einem geachteten Pharisäer, einem Gelehrten, der selbst versucht, die Tora im Alltag zu leben, und das an andere weitergibt.

Die beiden so verschiedenen Männer nehmen einander ernst. Und das ist wohl eine Grundvoraussetzung dafür, dass ein echtes Gespräch zustande kommt. Damals wie heute.

Interessant ist auch: Jesus drängt niemandem ein Gespräch auf. Aber wenn er gefragt wird, ist er sofort bereit, Rede und Antwort zu stehen. Er vergibt keine Termine, verweist nicht auf die ungünstige Uhrzeit oder die eigene Müdigkeit. Es klopft – und er macht auf. So würde man sich das heute auch wünschen.

Die Nacht ist eine wichtige Zeit

Dass Nikodemus des Nachts zu Jesus geht, interpretieren manche als Feigheit – bloß nicht gesehen werden! Andere verweisen darauf, dass im Johannesevangelium in der Nacht sehr viel Wichtiges geschieht: Ein Sturm wird gestillt, Jesus betet, er wird gefangen genommen und auferweckt. Nachts entscheidet sich, ob man dem Licht Gottes oder der Finsternis der Welt vertrauen möchte. Jesus sagt es ja selbst gegen Ende dieses Gesprächs: „Das Licht kam in die Welt, doch die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht; denn ihre Taten waren böse.“

Nachts lenkt nichts ab, es ist die Zeit für besonders tiefe Gespräche, auch über den Glauben. Für Rabbiner damals war das nichts Besonderes. Aber auch der eine oder die andere von uns kann sich möglicherweise daran erinnern: an tiefe Gespräche mitten in der Nacht.

Nikodemus kommt als interessierter jüdischer Theologe zu Jesus und der bietet ihm seine Botschaft an. Jesus bemüht sich sogar, auf den Gesprächspartner einzugehen, indem er auf dessen Glaubenswelt Bezug nimmt: „Wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat ...“, damit kann der Tora-Kenner Nikodemus etwas anfangen. Nicht umsonst hat der Maler Matthias Stomer im Bild oben ein dickes Buch auf den Tisch gelegt: Man studiert gemeinsame Quellen. Auch heute ist das ein guter Tipp: bei Konfliktgesprächen mit Gemeinsamkeiten anzufangen.

Aber dann geht Jesus natürlich einen Schritt weiter. „So muss auch der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der glaubt, in ihm ewiges Leben hat“, sagt er. Ob Nikodemus da noch zustimmen kann? Dass Jesus derjenige ist, der Rettung und Heil bringt, so wie Gott in der Wüste Rettung und Heil brachte? Über diesen Gedanken muss der Pharisäer vermutlich länger nachgrübeln. Denn er ist seinem Glauben und seinem Denken sehr fremd, er ist anders als alles, was er von Geburt an gelernt hat. „Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat.“ Damit mutet Jesus Nikodemus etwas völlig Neues und sehr Herausforderndes zu.

So ist es bei uns manchmal auch: Neue Ideen, neue Gedanken, die ganz anders sind als die, mit denen wir aufgewachsen sind, fordern heraus und brauchen Zeit, um in uns einzusickern. Gerade im Glauben, in Wertvorstellungen. Nehmen Sie das Beispiel Homosexualität: früher Sünde und lange Zeit gesetzlich verboten, heute gesellschaftlich anerkannt bis hin zur Segnung. Respekt vor allen (alten) Leuten, die es schaffen, da mit Kopf, Herz und Seele mitzukommen.

Ob Nikodemus es schafft, diese neuen Gedanken in Kopf, Herz und Seele zu lassen, bleibt offen: Das Gespräch endet mit einer Rede Jesu und ohne weitere Reaktion des Pharisäers. Auch das kennen wir: Wenn wir mit Kindern oder Enkeln, Freunden oder Familie über den Glauben reden, wissen wir nicht, ob es Folgen hat und wenn, welche. Jesus fordert auch keine Reaktion ein, er sagt nicht: „Ich habe so gut argumentiert, da musst du mir doch zustimmen!“ Auch darin kann er uns Vorbild sein.

Trotzdem zu versuchen, mit Andersdenkenden ein Glaubensgespräch zu führen, ist aber ganz sicher im Sinne Jesu. Und natürlich darf man darauf hoffen, dass ein Same gelegt ist, der irgendwann keimt und weiterwachsen kann. Wie bei Nikodemus. Im Johannesevangelium ist von ihm noch zweimal die Rede. In Kapitel 7 (37–53) kommt es im Hohen Rat zu einem Streit darüber, ob Jesus der Messias sein könnte – übrigens wieder ausgelöst durch das Auftreten Jesu während eines Paschafestes. Einige wollen ihn wegen Anmaßung festnehmen lassen, doch Nikodemus widerspricht und sagt: „Verurteilt etwa unser Gesetz einen Menschen, bevor man ihn verhört und festgestellt hat, was er tut?“ Der Streit verläuft im Sande.

Das letzte Mal erwähnt Johannes ihn nach dem Tod Jesu, als er sich zusammen mit Josef von Arimathäa um den Leichnam kümmert (Johannes 19,38–42). Aus Glaube? Aus Respekt? Man weiß es nicht. Aber jedenfalls scheint der nächtliche Besuch etwas ausgelöst zu haben – auch wenn Jesus selbst davon nichts erfahren haben mag. Und so ist es bei unseren Glaubensgesprächen ja auch oft.

Susanne Haverkamp