Würzburg (POW) Den Wandel im Verhältnis von Ethik und Politik in der Gesellschaft hat Generalvikar Dr. Karl Hillenbrand bei der Jahresabschlusssitzung des Würzburger Kreistags am Montagabend, 18. Dezember, begrüßt. Gleichzeitig warnte er vor einer oberflächlichen Werteethik. Demokratie brauche ethisch fundierte Haltungen und immer wieder die konkrete Abstimmung zwischen aktueller Tagespolitik und den sie tragenden Einsichten. Den Mitgliedern des Kreistags dankte er für ihr Bemühen, „im politischen Wettstreit unsere Heimat auch auf Zukunft hin lebens- und liebenswert zu erhalten“.
Seit geraumer Zeit habe sich eine aufschlussreiche Entwicklung vollzogen: Bis in die 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts sei stets für die strikte Trennung von Ethik und Politik plädiert worden, sagte Hillenbrand. Seither sei eine Gegenbewegung auszumachen, die in der breiten Öffentlichkeit vornehmlich als Wertedebatte in Erscheinung trete. Der Grund hierfür liege in der Erkenntnis, dass der Staat zwar weltanschaulich neutral, aber nicht wertneutral sei. Dazu komme die rein praktische Einsicht, dass in einer immer pluraler und multikultureller werdenden Gesellschaft ein ethischer Minimalkonsens notwendig sei, um ein geordnetes und friedliches Zusammenleben verschiedenster Menschen zu gewährleisten.
Hillenbrand warnte auch vor den Risiken des neuen Trends: Gerade im Medienzeitalter bestünde die Gefahr, dass zum Beispiel die Wertedebatte zu plakativ und oberflächlich geführt werde. „Für jegliches Defizit in der Gesellschaft scheint Abhilfe in Sicht, wenn man sich nur auf die passenden Werte besinnt.“ Werte aber seien das Ergebnis von Überzeugungen und kein Naturzustand, der verschüttet worden sei und den man nur wieder herzustellen brauche.
Anhand der Schlagworte Gemeinwohl, Gewissen und Gerechtigkeit zeigte der Generalvikar Perspektiven für die Verhältnisbestimmung von Ethik und Politik auf. Gegenüber dem Gemeinwohl habe die Politik eine ständige Gestaltungsaufgabe. Es sei schwierig, einen Grundkonsens aller Einzel- und Gruppeninteressen in einer pluralen Gesellschaft zu finden. Die Suche nach dem Gemeinwohl lasse sich nur in Spannungsbögen mit verschiedenen Polen benennen. „An der Schnittstelle von Ethik und Politik ist deshalb oft von den gestaltenden Personen bei ihrem Bemühen um konkrete Entscheidungen die Berufung auf das Gewissen gefragt.“
Das Gewissen als Kompass für politische Entscheidungen scheine eine akzeptierte Selbstverständlichkeit zu sein. Es bestünde aber die Gefahr, dass das Gewissen weniger als gemeinsame Grundlage bei der Entscheidungsfindung verstanden werde, sondern als Rückzugsmöglichkeit des Einzelnen. Ein dialogischer Wertevergleich sei dann nicht mehr möglich. Hillenbrand zitierte in diesem Zusammenhang die „Goldene Regel“ aus dem Matthäusevangelium: „Alles, was ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen“. Diese berge noch keine Garantie für die Werteverwirklichung. Dazu bedürfe es Maßstäbe für die Gewissensentscheidung, die heute oft nicht mehr mit ethischen Grundsätzen begründet seien.
Sollten sich Gewissensentscheidungen am Maßstab der Gerechtigkeit orientieren? Mit Blick auf aktuelle politische Themen, wie die Gesundheits- oder Arbeitsmarktreform, stellte der Generalvikar die Frage nach gerechter Politik. Ob Hartz IV gerecht sei, hänge vom Verständnis von Gerechtigkeit ab. Die notwendige politische Auseinandersetzung um eine gerechte Gesellschaft müsse so ausgetragen werden, dass das Ergebnis Wege zu einem Grundkonsens eröffne, betonte er. Sachkenntnis und das Mühen um ethische Einsichten seien hierfür notwendig. Die Lösungen dürften sich aber nicht nur auf die Gegenwart beziehen, sondern müssten auch für die Zukunft Bestand haben. Ethische Überlegungen würden helfen, diese Zukunftsverantwortung zu sichern, bekräftigte der Generalvikar.
Abschließend betonte Hillenbrand, es gebe keine christliche Politik im eigentlichen Sinn des Wortes, sehr wohl aber eine Politik von Christen oder eine christlich verantwortete Politik, die durchaus verschiedene Formen und Optionen annehmen könne. Gemeinsam sei ihnen, dass sie die ethische Reflexion des politischen Handelns über das rein Weltliche hinaus im Religiösen, im Gottesbezug, verankerten.
Hinweis: Der Wortlaut des Vortrags findet sich im Internet unter www.pow.bistum-wuerzburg.de.
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