Würzburg (POW) Mehr als 500 Personen haben am interdisziplinären Studientag „Selbstbestimmt sterben“ der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Würzburg teilgenommen. In der Neubaukirche diskutierten am Mittwoch, 7. Dezember, rund 350 Schüler der gymnasialen Oberstufe aus ganz Unterfranken sowie Lehrer, Studenten und Universitätsdozenten das breite Feld von Palliativmedizin, Patientenverfügung und Sterbehilfe.
Gegen die bislang in Paragraph 216 des Strafgesetzbuches festgeschriebene „Pflicht zum Weiterleben“ sprach sich der Jurist Professor Dr. Eric Hilgendorf aus. Der moderne Staat sei weltanschaulich neutral und schütze Christen ebenso wie Muslime oder Gläubige kleiner Religionsgemeinschaften oder Menschen ohne Bekenntnis. Die Religionsfreiheit gehöre zu den vornehmsten Grundrechten. „Niemandem dürfen die Glaubenssätze einer ihm fremden Religionsgemeinschaft aufgezwungen werden. Das christlich geprägte Verbot eines freien, selbst bestimmten Sterbens hat deshalb in unserer Rechtsordnung keinen Platz mehr“, sagte Hilgendorf.
Für die Zukunft forderte der Jurist daher, dass ein frei und eigenverantwortlich entscheidender Mensch, der selbst nicht in der Lage ist, sich das Leben zu nehmen, einen anderen um Hilfe bitten dürfen müsse, ihn aktiv zu töten. Weiter nannte der Jurist Fälle des extremen Notstands. Zum Beispiel, wenn ein Lkw-Fahrer in seinem brennenden Führerhaus eingeklemmt sei und von den Flammen erfasst werde, keine Hilfe verfügbar sei und er seinen Beifahrer, der sich hat befreien können, anflehe, ihn rasch und schmerzlos zu töten. „Eine freie und eigenverantwortliche Zustimmung scheidet in diesem Fall aus.“ Hilgendorf warnte vor pauschalen Antworten, wenn es um das Sterbenlassen von Menschen im Koma oder extrem missgebildeten Neugeborenen gehe. „Schon im Hinblick auf die historischen Erfahrungen mit Eugenik sind bei diesen Fragen äußerste Zurückhaltung und Vorsicht angebracht.“
Professor Dr. Stephan Ernst hielt aus moraltheologischer Sicht dagegen, dass die Aussagen der christlichen Ethik keineswegs Glaubensaussagen seien und sich auch nicht von Glaubensaussagen herleiteten. „Sie sind vielmehr Anknüpfungspunkt und Voraussetzung für den Glauben.“ Auch wenn in der Geschichte des Christentums diese Maxime nicht immer eingehalten wurde: Im Christentum seien moralische Normen grundsätzlich immer mit Vernunftargumenten zu begründen. Befürworter der aktiven Sterbehilfe unterstellten der kirchlichen Seite immer die Vorstellung einer Heiligkeit des Lebens. „Es ist zwar richtig, dass christliche Ethik das menschliche Leben für ein fundamentales Gut hält. Sie begründet das im Rahmen einer vernunftgeleiteten Ethik damit, dass das Leben des Menschen die Grundlage und Voraussetzung für die Verwirklichung menschlicher Güter überhaupt ist. Es kann daher nicht einfach gegen andere, durchaus wichtige Güter verrechnet werden“, sagte Ernst. Die Achtung der sittlichen Autonomie eines Menschen könne nicht einfach bedeuten, dass man dem anderen all das erfüllt, was er sich gerade wünsche. Für Ernst geht es bei der derzeitigen Suche nach einer gesetzlichen Regelung für eine Patientenverfügung darum, sich einerseits in einem Akt der Selbstbestimmung gegen sinnlos gewordene Maßnahmen verwahren zu können, ohne die problematische Möglichkeit einer legalen aktiven Sterbehilfe in Betracht zu ziehen.
Einen wichtigen Beitrag dazu, dass ein Mensch sein Leben nach seinem Entwurf erfüllt gestalten könne, leiste die Palliativmedizin, erläuterte Dr. Heribert Joha, Arzt auf der Palliativstation am Würzburger Juliusspital. In den vergangenen Jahrzehnten hätten die Fortschritte in der Medizin dazu geführt, dass die scheinbar schwächste Seite ärztlicher Kunst, die der Linderung und des Trostes, in den Hintergrund geriet. „Wir laufen wegen der Vielzahl therapeutischer Möglichkeiten Gefahr, blind zu werden für eindeutige Zeichen eines begonnenen Sterbeprozesses. Gleichzeitig plagt uns die Angst, nicht alles getan zu haben.“ Die Betroffenen reagierten nicht selten mit einer Patientenverfügung auf die Gefahr einer möglichen Übertherapie. Gleichzeitig fragten sich die Angehörigen, ob sie sich massiv genug für den Einsatz aller medizinischen Möglichkeiten eingesetzt hätten. Palliativmedizin stehe für minimalen Geräteeinsatz bei maximaler menschlicher Präsenz. „Sie kann auf diese Weise ihren Beitrag dazu leisten, dass ein Mensch auf dem Sterbebett sagen kann: Ja, das war mein Leben, mein Leiden, mein Sterben.“
In diesem Sinne plädierte auch Barbara Lanzinger, Vorsitzende des Bayerischen Hospizverbandes, bei der abschließenden Podiumsdiskussion für mehr menschliche Zuwendung für Schwerkranke und Sterbende. „Schmerz wird oft erträglicher, wenn jemand den Leidenden zur Seite steht.“ Die bescheidene finanzielle Ausstattung der stationären Hospize und Palliativstationen liege in der Selbstverwaltung der Krankenkassen begründet. Für eine flächendeckende Versorgung der gesamten Bevölkerung mit palliativer Medizin sei eine Netzwerkbildung zum Beispiel mit Allgemeinärzten unverzichtbar.
mh (POW)
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